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Ghana 🇬🇭- "I want to buy you"

Die schlechte Straße zog sich noch ein paar Kilometer, wurde dann aber allmählich besser. Ich merkte, dass ich mich der Küstenstraße wieder näherte. Zumindest war das Problem mit der durchrutschenden Kette deutlich besser geworden – spürbar besser.

Am Straßenrand entdeckte ich ein Schild von einem Restaurant, das offenbar auch Camping anbietet. Es sah zwar eher nach einem Gruppen-Camp für Schulklassen aus, mit bereits aufgebauten Zelten, aber ich dachte mir: Wenn die das anbieten, darf ich Crappy sicher auch irgendwo hinstellen.

Auf einer ruhigen, schönen Straße ging es weiter Richtung Meer. Unterwegs kam ich an einer großen Salzplantage vorbei – Ghana ist ja bekannt für seine Salzproduktion.

Schließlich erreichte ich den Pebi Beach. Und tatsächlich, es war kein Problem, direkt am Strand zu campen. In Ghana ist gerade Zwischensaison, also bin ich hier fast allein. Ein paar Einheimische laufen gelegentlich vorbei, aber sie stören mich nicht.

Die Nacht war ruhig, und ich war immer noch ganz allein. Möge der Massentourismus diesen Ort niemals entdecken. Eigentlich würde ich gern noch eine weitere Nacht bleiben – die Stimmung hier ist einfach zu gut. Aber heute ist Sonntag, und die N1 dürfte so leer sein wie selten. Eine perfekte Gelegenheit, die Strecke nach Cape Coast in Angriff zu nehmen.

Auf dem Weg dorthin tauchten am Horizont plötzlich zwei Radfahrer mit Gepäck auf. Es waren Lukas und Manu aus Frankreich. Wir hielten an, quatschten kurz, tauschten Tipps aus und erzählten uns, was auf dem jeweils bevorstehenden Streckenabschnitt zu erwarten war.

Lukas und Manu aus Frankreich
Lukas und Manu aus Frankreich

Cape Coast ist eine überraschend große Stadt mit Rastafari-Flair. Eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten ist das Cape Coast Castle, das man besichtigen kann. Kaum war ich am Schloss vorbei, machte ich mich auf die Suche nach einer Unterkunft. Schon im Vorfeld hatte ich ein paar Optionen geprüft – und festgestellt: Cape Coast ist vergleichsweise teuer.

Ein Rastafari sprach mich an, und ich fragte ihn nach einer Möglichkeit zum Campen. Er wollte mir unbedingt einen Platz zeigen und führte mich direkt zum wohl teuersten Resort der Stadt. Er versicherte mir, dass ich dort campieren könne. Doch kurz darauf eskalierte ein Streit zwischen ihm und einem Mitarbeiter – offenbar bringt er regelmäßig Touristen hierher, was dem Resort nicht gerade gefällt.

Die Stimmung wurde unangenehm. Ich fragte schließlich einen Mitarbeiter nach einer günstigen Unterkunft. Kaum war ich um die Ecke gebogen, fand ich das Baobab Guesthouse. Für 95 Cedis (etwa CHF 5.50) konnte ich dort im Massenschlag übernachten – keine schlechte Option in Cape Coast.

Am nächsten Morgen musste ich bei Western Union so lange auf mein Geld warten, dass ich beschloss, noch eine Nacht zu bleiben und mir in der Zwischenzeit das Cape Coast Castle anzuschauen.

Die Tour war überraschend gut. Informativ, eindringlich, und in etwa einer Stunde geführt. Wir besichtigten die Kerker, in denen die versklavten Menschen ihre letzten Tage auf afrikanischem Boden verbrachten. Es war erschütternd, die dunklen, engen Räume zu sehen – ohne Licht, ohne sanitäre Anlagen. Eine schmale Rinne zog sich durch die Zellen, um die Exkremente ins Meer zu leiten.

Diejenigen, die als "gesund" galten, wurden verkauft. Die "kranken" oder "schwachen" dagegen landeten in einer Zelle ohne Wasser, ohne Essen, ohne Licht – sie wurden buchstäblich zu Tode gequält und dann ins Meer geworfen.

Ein schweres Kapitel der Geschichte, das noch lange in mir nachklingen wird.


Als ich Cape Coast verlassen wollte, war ich überrascht vom dichten Verkehr – umso erleichterter war ich, als es endlich ruhiger wurde. Wieder ging es für mich Richtung Norden. Ich wollte zum Kakum Nationalpark, und außerdem hatte ich keine Lust auf die N1, denn dort soll es erneut eine große Baustelle geben. Also stand mal wieder eine Inland-Route an.

Der Kakum Nationalpark ist zwar nicht für große Tiere bekannt, dafür aber für dichten Regenwald, viele Vögel und andere kleinere Tiere. Die Hauptattraktion ist aber der Canopy Walk – eine Hängebrückenwanderung hoch oben in den Baumkronen.

Man kann direkt im Park campen und die Hängebrücken-Tour nach der offiziellen Schließzeit machen – dann ist man komplett allein unterwegs, keine anderen Touristen weit und breit. Über sieben Brücken musst du gehen... Es sind tatsächlich genau sieben, die sich durch das Blätterdach des Waldes ziehen.

Zwischendurch fragte ich mich schon, warum ich mir das antue – ich bin nicht schwindelfrei und hasse Hängebrücken. Aber ich hab’s überlebt. Und ja, am Ende konnte ich es sogar ein bisschen genießen.

Canopy Walk im Kakum Nationalpark
Canopy Walk im Kakum Nationalpark

Zurück im Camp – ich hatte mich bereits unter ein paar Bäumen eingerichtet – tauchte der Nachtwächter auf. Er riet mir, das Zelt lieber unter dem Unterstand neben dem Restaurant aufzubauen. Der Himmel sah nach Regen aus. Das Angebot nahm ich dankend an – ich hatte keine Lust, wieder in Crappy zu schwimmen.

Mit dem Jungle-Radio im Ohr schlief ich schnell ein. Am Morgen wurde ich dann von einem lauten „Hallo, hallo!“ geweckt – der Nachtwächter. Ich war sofort im Alarmmodus. Irgendwas musste passiert sein.

Aber nein – „I'm going home now“ war alles, was er mir um 5:30 Uhr (!!!) mitteilen wollte.

Ich setzte mich ins Restaurant und gönnte mir einen Kaffee, während der Regen einsetzte – zum Glück nur kurz.

Die folgende Etappe führte mich rund 80 Kilometer über ruhige Straßen, durch dichten Regenwald, begleitet von einem stetigen, aber angenehmen Auf und Ab. Eine riesige Palmölplantage zog sich kilometerweit entlang der Straße. Palmöl – ein zentraler Bestandteil der westafrikanischen Küche.

Abends fand ich ein Guesthouse etwas außerhalb eines Dorfes. Günstig, sauber, völlig okay. In der Nacht hatte ich zwar Besuch von einer Maus – aber immerhin keine Ratte. Ich war zufrieden.

Am nächsten Tag stand ein anstrengender Offroad-Abschnitt an. Ich entschied mich für eine Abkürzung, um weiter westlich zu kommen. Die asphaltierte Hauptroute hätte einen weiten Umweg bedeutet – und man sagte mir, der Zustand der Offroad-Strecke sei stellenweise sogar besser als die Hauptstraße mit all ihren Schlaglöchern.

Ich genoss diese Route sehr, wenn sie auch sehr anstrengend war. Manchmal war die der Untergrund neu gestampft und sehr angenehm zu fahren, manchmal aber auch nass, schlammig, voller Pfützen, steinig und technisch schwierig.

Allerdings war die Straße einmal mehr meine kleinste Herausforderung. Die Männer sind sehr offensiv hier.

"Hey Baby" "I want to marry you" "where are you going?" "helloooo" "eh eh eh"

Über den Tag verteilt verfolgen mich Sieben verschiedene Motorräder über Minuten. Diese Situationen sind jeweils sehr schwierig zu handeln. Man weiss nie, ob einem die Männer umbringen, vergewaltigen, überfallen und bestehlen oder sie doch einfach nur "Hallo" sagen wollen.

Immer und immer wieder in Ghana

Ein Motorradfahrer versuchte, mich zu berühren. Vielleicht wollte er mich sogar schlagen. Ich weiß es nicht genau. Was ich weiß: Es war beängstigend.

Was mich aber noch mehr trifft, ist der Grund, warum solche Situationen immer wieder passieren. Weil ich eine Frau bin. Und weil ich allein unterwegs bin. Das reicht oft schon aus.

Als Frau muss ich so viel mehr ertragen. Ich muss mein Verhalten kontrollieren, meine Entscheidungen doppelt absichern und auf vieles verzichten, was für Männer selbstverständlich ist. Nicht, weil ich das will – sondern weil ich es muss.

Ein Beispiel: Wildcampen. In Afrika mache ich das nur, wenn ich mit jemandem unterwegs bin oder wenn es absolut keine andere Möglichkeit gibt. Und selbst dann nur, wenn weit und breit keine Menschen sind – was hier praktisch nie der Fall ist. Überall sind Menschen. Also campe ich in Kirchen, Schulen oder mitten in Dörfern. Dort habe ich keine Privatsphäre. Keine Ruhe. Es ist mental extrem anstrengend. Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich es liebe, einsame Orte zu finden. Mit Aussicht. Mit Stille. Und dort die Nacht zu verbringen – allein.

Heute habe ich rund 70 Kilometer Offroad hinter mich gebracht. Ich war erschöpft und erleichtert, als ich ein Guesthouse fand. Doch auch dort musste ich kämpfen. Arby, durfte erst nicht mit rein. Erst nach einer deutlichen Ansage: Entweder kommt er mit oder ich fahre weiter – völlig erledigt und eigentlich zu erschöpft noch auf die Suche nach einer Kirche für die Nacht zu gehen. Es ist immer derselbe Balanceakt: Sicherheit gegen Würde, Erschöpfung gegen Prinzipien.

Am nächsten Tag führte der Weg überraschend über asphaltierte Straßen. Eigentlich ein Glück – denn meine Kraft war längst wieder aufgebraucht. Neun Männer hatten mich beim Packen einfach nur angestarrt. Kein Wort, kein Respekt, nur Blicke. Jetzt weiß ich auch, warum. Wegen einer nahegelegenen Goldmine ist die Infrastruktur besser. Und mit dem Gold kommt ein anderes Klima in die Dörfer. Mehr Geld, das in die falschen Hände gerät. Mehr Alkohol. Und ein Frauenbild, das entwürdigender kaum sein könnte: Jede Frau wird zur Prostituierten gemacht.

Das rechtfertigt nichts. Aber es erklärt, warum sich Männer hier anders verhalten. Und warum ich mich nie wohl fühle, wenn Gold im Spiel ist.

Die Männer in Ghana sind extrem anstrengend...
"Hey Baby I love you"
"Hey Baby I love you"
Immer wieder werde ich über Minuten und Kilometer verfolgt
Immer wieder werde ich über Minuten und Kilometer verfolgt

Vielleicht ist es auch einfach nur ein weiterer verzweifelter Versuch, Afrika zu verstehen. Wahrscheinlich wird meine Theorie über Goldgräber-Dörfer bald durch neue Erfahrungen widerlegt – Erfahrungen, die auch ohne Gold ebenso negativ sind. Ich kann und werde diesen Kontinent nie ganz verstehen. Und vielleicht ist genau das das Ehrlichste, was ich darüber sagen kann.

Heute hatte ich wieder Probleme, einen Schlafplatz zu finden. Im ersten Dorf führte mich ein Einheimischer in die Irre. Das zweite Guesthouse war voll, das dritte zu teuer, beim vierten war niemand da. Dort gab es immerhin einen Unterstand – und weil gerade ein paar Tropfen fielen, blieb ich erstmal dort.

Auch am Abend tauchte niemand auf. Ich beschloss, dort zu campen. Es war ein umzäuntes Gelände, das zu einem Guesthouse gehörte, aber trotzdem irgendwie öffentlich wirkte. Am Abend kamen ein paar Jungs vorbei. Sie waren respektvoll. Einer von ihnen, Daniel, erzählte mir seine Geschichte – seine gescheiterte Flucht nach Europa über Tunesien. Er wurde kurz vor dem Schiff entdeckt und zurückgeschickt. Auf dem Weg forderten Schlepper immer wieder Geld. Er verkaufte sein Handy und seine Kopfhörer, um weiterzukommen. 50.000 Cedis, sagte er – das sind über 4.000 Franken. Er erzählte das ganz nüchtern. Keine Klage, keine Wut. Nur Fakten. Pragmatisch. Afrikanisch.

Der nächste Tag wurde einer der härtesten meiner gesamten Reise. Vielleicht der härteste überhaupt.

Ich kann mich nicht erinnern, einem einzigen Menschen begegnet zu sein, der mich nicht angestarrt, kommentiert oder auf irgend eine Art auf mich reagiert hat. Natürlich waren es wieder die Männer, die am meisten übergriffig wurden. Drei Jungs auf einem Motorrad fuhren mir hinterher. Immer wieder überholten sie mich, liessen sich dann wieder zurückfallen, riefen: "Hey baby, I love you."

Solches Verhalten ist überall auf der Welt inakzeptabel. Heute war ich dafür besonders nicht in der Stimmung. Ich wurde wütend. Ich schrie sie an. Aus voller Kehle. Hier in Afrika schreie ich fast jeden Tag einmal. Es ist meine einzige Waffe. Und es tut gut. So gut, dass es mir fast Angst macht. Denn ich will nicht, dass es zur Gewohnheit wird.

Aber in diesen Momenten fühle ich mich stark.

Ich sah eine Tankstelle rechts und bog ab, einfach nur, um unter Menschen zu sein.

Wenig später bog auch das Motorrad zur Tankstelle ab. Die Jungs stiegen ab, liefen umher, angeblich suchend. Aber sie suchten nichts. Sie wollten nur weitermachen.

Ich griff meine GoPro, ging direkt auf sie zu. Ich sprach den Fahrer an: Warum er mir "I love you" zurufen würde – wir kennen uns doch gar nicht. Er lachte nur. Ein anderer zeigte mir den Stinkefinger.

Notiz an mich selbst:Das muss wohl das internationale Zeichen für die wahre, große Liebe sein.

So sehr lieben mich die "Hey Baby I love you" Typen übrigens wenn ich sie auf ihr unmögliches Verhalten anspreche
So sehr lieben mich die "Hey Baby I love you" Typen übrigens wenn ich sie auf ihr unmögliches Verhalten anspreche

Ich schrie sie an. Sie schrien zurück.

Zwei ältere Arbeiter beobachteten die Szene an der Tankstelle. Als ich, vollgepumpt mit Adrenalin und Wut, wieder losfuhr, sah ich, wie sie die drei Jungs zur Rede stellten. Wenigstens zwei Menschen, die auf meiner Seite waren.

Trotzdem blieb die Angst. Ich hatte sie wütend gemacht, und ich wusste nicht, ob sie mir folgen würden. Bei jedem Motorrad, das ich hinter mir hörte, spannte sich mein ganzer Körper an. Ich drehte mich um – aber es waren nicht sie. Es waren einfach nur neue Arschlöcher. Neue Schatten, die mich verfolgten.

Ich werde regelmäßig von Motorrädern verfolgt. Aber seit letzter Woche ist es schlimmer geworden.

Wieder diese Rufe: "I love you!" – "I want to marry you!" – "My wife!" – "Wow, China!" (weil ich weiß bin, aber nicht blond) – "Aqua!" (weil ich ständig nach Wasser gefragt werde). Ich kann es nicht mehr hören. Ich kann es nicht mehr ignorieren. Ich schreie. Einfach nur noch schreien. Ghana ist für mich das Tansania Westafrikas.

Irgendwann hielt ich an einem ruhigen Ort. Endlich. Ich war allein. Ich konnte trinken. Für eine halbe Sekunde. Dann rollte der nächste Motorradfahrer an. Parkte rückwärts, dicht neben mir. Der Ort war völlig leer, kein Verkehr weit und breit – und doch hielt er genau hier. Bei mir.

Ich sagte ihm, dass ich allein sein will. Dass es mir gut geht. Dass er bitte weiterfahren soll. Stattdessen schüttelte er nur den Kopf. Ich fragte ihn direkt: Warum hältst du hier an? Du hast einen Kilometer vor und hinter dir nichts als Straße. Warum hier?

Keine Antwort.

Ich sagte ihm schließlich, dass ich einfach 10 Meter weiterfahre, wenn er hierbleibt. Dann fuhr ich los – und er machte kehrt, fuhr in die entgegengesetzte Richtung davon. Es war klar: Er war nicht zufällig da. Er war nur da, weil er mich gesehen hatte. Und dachte, das sei jetzt sein Moment. Ein bisschen Belästigung. Ein bisschen Macht.

Ich raste innerlich aus.

Später, als ich endlich die Küste erreichte, fuhr ein Trotro neben mir her. Der Fahrer hupte wie verrückt, ein Mann hing aus dem Fenster und rief:"Come to the beach, I want buy you!"

Dieser Typ wollte mich "kaufen"...

Das war ein Tag als alleinreisende Frau in Afrika. Solche Auseinandersetzungen rauben mir alles. Energie. Vertrauen. Nerven. Aber irgendwie machen sie mich auch stark. Unendlich stark.Schwer zu erklären.

Ich verbrachte danach ein paar ruhige – wenn auch nasse – Tage an einem kleinen Strand. Ich lud meine Batterien wieder auf. So gut es eben ging.

Crappy - mein Zelt und ich sind beide nicht mehr ganz dicht
Batterien aufladen und all die Arschlöcher vergessen
Batterien aufladen und all die Arschlöcher vergessen

 

 

 

 

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