C'ôte D'Ivoire 🇨🇮 - Regen & Malaria und trotzdem Happy
- Sandra

- 23. Juni
- 8 Min. Lesezeit
Nach ein paar Tagen Ruhe an einem stillen Ort in Ghana wartete ich das Einreisedatum für mein Visum zur Elfenbeinküste ab. Ghana lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. Vor allem der Westen, im Inland, war belastend. Ich wollte von Anfang an nur weg – und auch wenn es schöne Begegnungen und einsame Strände gab, überwiegen die negativen Erlebnisse.
Die Straße entlang der Küste wurde schlechter. Schlamm, Schlaglöcher, Dauerregen. Am letzten Abend in Ghana hielt mich ein Polizist in einem kleinen Dorf auf – freundlich, interessiert, und er kannte sogar das 90/60-Tage-Visumproblem. Zum ersten Mal: Verständnis. Eine kleine Genugtuung.

Die Nacht im klimatisierten Zimmer war angenehm. Am Morgen fuhr ich Richtung Grenze. Die Piste: eine Katastrophe. Der Ausreisestempel ging schnell. Die Grenze, die ich wählte, war winzig – der einzige Weg führte über den Strand. Ich kam bei Flut an. Ich wartete mit Kokosnuss in der Hand, bis mir klar wurde: Die Grenzstation auf der anderen Seite könnte schon geschlossen sein. Ein paar Jungs erklärten mir, dass ich mein Fahrrad auf einen Truck laden und über eine alternative Route fahren müsse. Illegal im Niemandsland zu übernachten war keine Option. Also stieg ich ein.
Der Polizist auf der Strecke winkte uns durch – ungewöhnlich, denn als Weiße werde ich fast immer kontrolliert. Bei der Immigration einige Kilometer weiter fragte man mich nach dem Einreisestempel. Ich hatte keinen. Ich dachte, ich bekomme ihn hier. Der Beamte meinte, das wäre Aufgabe der Polizei gewesen. Ich solle ihn in Assinie nachholen. Ich zweifelte. Kein Stempel bei der Ausreise? Ärger vorprogrammiert.
Zurück durch den tiefen Sand? Keine Chance. Ich entschied mich, dem Beamten zu vertrauen.
In Assinie verlud ich Arby auf eine Piroge, um eine Lagune zu überqueren. Wieder halfen mir Männer sofort. Afrika – manchmal rau, oft überraschend hilfsbereit. In Assinie freute ich mich über die typischen Lebensmittel in den Francophoneländer wie Baguette, Orangina und echte Supermärkte.
Die SIM-Karte funktionierte nicht – ich fand zufällig eine Ersatzkarte von Orange Côte d’Ivoire, die ich ebenfalls von anderen Reisenden bekommen habe. Code 0000 – und Internet war da. Jetzt nur noch der Stempel. Bei der Polizei sagte man mir: Dafür muss ich zurück an die Grenze. Keine Chance. Kein Geld. Keine Nerven. Der Beamte telefonierte mit seinem Chef und bot mir einen Deal an: Ich gebe ihm meinen Pass über Nacht, er holt den Stempel. Ich zögerte. Aber ich sagte ja. Mit Bauchweh.
Am nächsten Morgen klopfte es. „Sandra?“ – Der Polizist stand da. Mit meinem Pass. Sauber. Eingestempelt. Ich war sprachlos. Ich brachte später eine paar Soda-Drinks vorbei – ein kleines Dankeschön.
Ich fuhr weiter durch Lagunen, vorbei an Resorts. Dann kam sie: eine vierspurige Straße, fast leer. Autobahn? Wer weiß. Ich war entspannt. In Grand-Bassam fand ich ein teures, aber komfortables Hotel – Klimaanlage, warme Dusche. Ich blieb noch eine Nacht. Dann: Abidjan.

Abidjan war früher Hauptstadt, heute ist es Yamoussoukro. Es war Sonntag, der Verkehr erträglich – solange es einen Seitenstreifen gibt. Gibt es keinen, ist Radfahren in afrikanischen Grossstädten lebensgefährlich.
Meine Route führte über die Hauptstraße. Vielleicht eine Autobahn, vielleicht nicht. Arby ist schon viele gefahren. Ich kam zur Mautstation. Normalerweise gibt’s rechts einen Weg für Fahrräder und Fussgänger. Hier: nur ein Drehkreuz für Fußgänger. Keine Chance für Arby.
Ich reihte mich bei den Autos ein. Der Typ in der Kabine ließ mich nicht durch. Ich solle zahlen: 500 CFA – wie ein Auto. Oder durchs Drehkreuz. Ich weigerte mich. Ein Mann wollte helfen, Arby durchs Drehkreuz zu drücken. Unmöglich. Tür daneben: verschlossen, Schlüssel unauffindbar.
Schließlich kamen weitere Helfer. Gemeinsam hoben wir Arby samt Ausrüstung über das Drehkreuz. Fünf Meter weiter stoppte mich ein anderer: Ich solle auf die Nebenstraße. Die ganze Aktion – völlig unnötig.
Je näher ich meinem BnB kam, desto ruhiger wurde die Straße. Und ich kam an. Erschöpft vom Stadtverkehr.

Vor Kurzem habe ich eine erfreuliche Nachricht von der Schweizer Botschaft erhalten: Mein neuer Schweizer Pass ist angekommen, und ich könne ihn am nächsten Tag abholen.
Die Abwicklung war erneut super einfach – nach einem kurzen Besuch hielt ich meinen neuen Pass in den Händen. Der alte Pass wurde (natürlich ohne die gültigen Visa) entwertet.

Die liberianische Botschaft befindet sich in Laufdistanz zur Schweizer Botschaft. Auch dort verlief der Besuch unkompliziert, die Dame war freundlich. Allerdings musste ich die 30.000 CFA bei einer Ecobank einzahlen und den Zahlungsbeleg anschließend zurückbringen.
Das bedeutete zwei Fahrten mit dem Yango und rund 1,5 Stunden Wartezeit bei der Bank.
Für das übernächste Land, Sierra Leone, reicht ein E‑Visa. Auch das habe ich online beantragt – und bereits am nächsten Morgen war es da.
Nachdem ich all meine Visa erledigt hatte fuhr ich am Sonntag wieder aus der Stadt raus. Ich hasse es mit dem Fahrrad in einer Grossstadt zu fahren. So versuchte ich zumindest die grosse Schnellstrasse zu vermeiden. Was ist passiert? Ich kämpfte mit engen, steinigen Trampelpfaden und Treppen für die Autobahnüberführung.

Zum ersten Mal in Afrika ist es mir passiert, dass ich keine Hilfe bekommen habe um Arby die Treppe hoch und runter zu tragen. Man kann über afrikanischen Männer sagen, was man will, jedoch haben sie einen unglaublichen Stolz und eilen mir eigentlich immer in Scharen zu Hilfe. Oft schon fast zu viel des Guten.
Hier aber, laufen die Herren an mir vorbei und ignorieren meine Bitte mir kurz zu helfen. Ich bin verwirrt.
Irgendwann half mir dann doch einer, wenn auch nicht mit Freuden.
Später als ich dann endlich aus der Stadt raus war und es endlich aufgehört hat zu regnen, bemerkte ich einen Platten Hinterreifen bei Arby.
Krass, den letzten Platten hatte ich in Angola. Das Sealant, welches ich in den Innenschlauch gefüllt hatte, war zu meinem Erstaunen immer noch flüssig und triefte aus meinem Pneu.

Eine Riesensauerei war das.
Besonders ärgerlich der Unterbrechung war, dass es nur gerade Zwei Kilometer vor dem Ort passierte, wo ich eh übernachten wollte.
Insgeheim hoffte ich, ein Auto würde anhalten und würde mich mitnehmen.
Ich hab zwar kein Auto gestoppt aber auch hier ist mir aufgefallen, dass kein einziger Wagen angehalten hatte, währenddessen ich den Reifen repariert habe. Auch dies sehr untypisch für Afrika.
Ich schaffte es alles sauber zu reparieren und die Zwei Kilometer ins nächste Dorf zu fahren wo ich ein Hotel fand um vom Regen Schutz zu suchen.
Ich fahre nun mitten in der Regenzeit. Es regnet beinahe täglich. Selten wirklich lange aber wenn, dann heftig.
Als ich in Abidjan war, hatte ich eines der heftigsten Gewitter meines Lebens erlebt. Hüfttief lief ich durch die strömenden Flüsse die sich durch Abidjan flossen. Es war echt heftig.
Über Tage fahre ich durch nie aufhörende Palm und Kautschukplantagen. Die Strasse ist in gutem Zustand, mit Seitenstreifen und wenig Verkehr. Ich geniesse die Ruhe. Auch hier habe ich oft Konverstationen mit Motorradfahrer. Im Gegensatz zu Ghana, sind die Menschen in der Elfenbeinküste sehr respektvoll. "Bonjour cava?" statt "Hey Baby".
Es ist so befreiend.
Die Strasse ist hügelig und anstrengend und trotzdem geniesse ich einfach die Ruhe die ich hier habe.
Ich fahre weiter in Richtung Westen und beschließe, noch vor San Pedro ins Landesinnere abzubiegen. Zunächst erwartet mich eine wunderschöne, frisch geteerte Straße. Doch schon bald wird sie zur staubigen, ungeteerten Baustelle – kilometerlang. Als wäre das nicht genug, beginnt es auch noch zu regnen.

Klitschnass finde ich schließlich Unterschlupf in einem Gewächshaus. Einige Arbeiter sind dort, zeigen Interesse an meiner Geschichte. Ich fühle mich ungewöhnlich schlapp und kontrolliere immer wieder die Karte: Sind es wirklich nur noch drei Kilometer bis zum nächsten Dorf? Ich bin so erschöpft, dass ich das Zeitfenster, in dem mein Körper noch funktionieren will, nutzen muss, um die kurze Distanz überhaupt zu schaffen. Warum bin ich schon wieder so müde?
Seit meiner ersten Malaria-Infektion habe ich immer wieder solche Phasen: diffuse Gliederschmerzen, Schüttelfrost, eine bleierne Erschöpfung, die ich zuvor nie kannte – sie sind fast zur Gewohnheit geworden.
Mit letzter Kraft steuere ich das nächstbeste Hotel an, schleppe meine Taschen ins Zimmer, bringe Arby in Sicherheit und lasse mich aufs Bett fallen. Ich ziehe alles an, was ich habe, krieche in meinen -20°C-Schlafsack und beginne am ganzen Körper zu zittern. Die nächsten sechs Stunden schlafe ich tief und fest. Als ich aufwache, bin ich völlig dehydriert – und glühend heiß.
Ich taumle die Treppe hinunter, überquere die Straße. Wenn mir in diesem Moment jemand begegnet wäre, hätte ich ihn inständig um Hilfe gebeten, mir etwas zu trinken zu bringen. Erst jetzt fällt mir auf: Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen. Gar nichts. Und es ist bereits sieben Uhr abends – trotzdem bin ich heute fast 40 Kilometer Offroad gefahren.
Hunger habe ich keinen, aber ich knalle mir einen Softdrink nach dem anderen rein, einfach um meinem Körper wenigstens Flüssigkeit und Zucker zuzuführen. Selbst wenn das örtliche Spital noch geöffnet gewesen wäre, hätte ich die 165 Meter dorthin nicht mehr geschafft. Ich schwöre mir: Egal, wie es mir morgen geht – ich werde mein Blut untersuchen lassen.
Ich kaufe Wasser und weitere Limonaden fürs Zimmer. Und tatsächlich – nach all der Flüssigkeit geht es mir ein kleines bisschen besser.
Ironischerweise fühle ich mich am nächsten Morgen tatsächlich deutlich erholter. Und hätte ich mich nicht an die Nacht zuvor erinnert, wäre ich wohl einfach weitergefahren – wie so oft in den letzten fünf Monaten.
Das Spital ist gut organisiert, die Ärztinnen und Pfleger freundlich. Ganz anders als in Lomé verläuft hier alles strukturiert. Für die Untersuchung bezahle ich 1000 CFA – etwa 1,50 Franken. Ich schildere dem Arzt, der geduldig mit meinem holprigen medizinischen Französisch umgeht, meine Symptome. Immer wieder wiederholt er ruhig seine Fragen.
Im Labor wird mir Blut abgenommen (CFA 10 000/ CHF 15.00). Die Dame macht das großartig – ein einziger, sauberer Stich. Zwei Stunden später kann ich das Resultat abholen.
Schon von Weitem sehe ich es: positiv. Zurück beim Arzt bestätigt sich mein Verdacht. Ich habe – wieder oder immer noch – Malaria. Der hohe Wert deutet darauf hin, dass die Parasiten vermutlich schon sehr lange in meinem Körper sind. Das erklärt die wöchentlichen Rückfälle seit meiner ersten Malaria-Erkrankung vor beinahe einem halben Jahr.
Dann das übliche Prozedere: Spritze in den Allerwertesten, Medikamente (CFA 10 000/ CHF 15.00) aus der Apotheke, ruhen, trinken, abwarten.
Am nächsten Morgen muss ich erneut eine Injektion abholen. Ich bleibe noch eine weitere Nacht in Guitry und beschließe dann, langsam weiterzufahren – immer nur ein kleines Stück.

Die Straße ist in hervorragendem Zustand, die Menschen herzlich. Ich bin beeindruckt, wie anders die Menschen in der Elfenbeinküste sind. Es ist das erste Land meiner Reise, in dem die muslimische Religion dominiert. Trotzdem – oder gerade deshalb? – fühle ich mich als Frau sicher. Ich trage weiterhin meine kurzen Hosen, und niemand starrt mich an oder belästigt mich.
Täglich geht es mir ein bisschen besser.
Täglich regnet es mindestens einmal heftig. Die Temperaturen sind eigentlich ideal zum Radfahren – doch wenn ich komplett durchnässt bin, wird es unangenehm kühl.
Ich übernachte in einer Schule. Der Direktor und seine Frau heißen mich herzlich willkommen und öffnen sogar ein Klassenzimmer für mich. Da Ferien sind, habe ich am Morgen genug Zeit, um meine Sachen in Ruhe zu packen.
Stundenlang beobachte ich die Jungs, wie sie auf dem Schulhof Fußball spielen – barfuß oder in Badelatschen, mit Dosen, Plastikbällen, kaputten Toren. Und trotzdem spielen sie mit einer Leidenschaft und einem Können, gegen das jedes westliche Gameboy-Kind mit Marken-Fußballschuhen nur verlieren kann.
Ich sauge diesen Moment Afrika tief in mich auf.
Am Abend bringt mir Florance, die Frau des Direktors, sogar noch ein Essen vorbei: Kartoffelstock. Ein Gericht, nach dem ich mich seit Monaten sehne und das ich nirgendwo finden konnte.
Es war der beste Kartoffelstock meines Lebens.



















































































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